Newsletter Mai 2021 vvv Liebe Mitglieder und Freund*innen des Bundes der Szenografen, … HANDLUNGSEMPFEHLUNG BEI PRODUKTIONSABSAGEN Auf Grund der andauernden Theaterschließungen gehört es mittlerweile zum Alltag, dass Produktionen abgesagt oder verschoben werden. Der Vorstand und unser Fördermitglied, der Rechtsanwalt und Agent Oliver Kummer, erhalten seit dem ersten Lockdown viele Anfragen von Mitgliedern, wie sie sich verhalten können, wenn Theaterleitungen nicht fair agieren und keine Ausfallhonorare zahlen. Deshalb hat sich der Bund der Szenografen entschlossen, zwei Mitglieder mit zwei unterschiedlichen exemplarischen Problemfällen zu unterstützen, rechtliche Schritte zu unternehmen. Damit möchten wir den anderen Mitgliedern eine Handlungsempfehlung geben und sie in eine bessere Verhandlungsposition bringen. Beim ersten Fall konnte Oliver Kummer für unser Vorstandsmitglied Gregor Sturm einen fairen Vergleich verhandeln. Der zweite Streitfall eines Mitglieds ist noch nicht abgeschlossen. Wir werden euch darüber zeitnah informieren. Fall 1: Gregor Sturm Bei diesem Fall handelt es sich um eine Produktionsabsage vom LTT Tübingen. Gregor Sturm war beauftragt das Bühnen- und Kostümbild für eine Produktion zu machen, die nach der Bauprobe abgesagt wurde. Die Theaterleitung machte das Angebot Gregor Sturm ein Drittel der gesamten Gage zu zahlen. Auf Grund der juristischen Unterstützung von Oliver Kummer kam es zu einem Vergleich und das Theater zahlte zwei Drittel der Gage. 100 Prozent wurden deshalb nicht gezahlt, weil bis zu dem Zeitpunkt der Bauprobe noch keine Arbeit für das Kostümbild erfolgt war. OLIVER KUMMER: PRODUKTIONSABSAGEN 24.04.2021 "Bühnenschaffende und Theaterleitungen tun gut daran besonders in dieser Zeit miteinander zu reden" - das schrieb ich letztes Jahr (Newsletter vom 6. April) und die Situation hat sich nicht geändert. "Für den Fall, dass ein gerechter Interessenausgleich nicht erreicht wird, mag ein Blick auf die Rechtslage als Argumentationshilfe dienen". Ich zitiere mich wieder und zwar um von einem Fall zu berichten, in dem wir als BdS für Gregor Sturm mit anwaltlichen Druck bis hin zur ernstgemeinten Klageandrohung das LTT Tübingen zu einem akzeptablen außergerichtlichen Vergleich bringen konnten. Das liegt an zwei Dingen: Angesichts einer fehlenden Einigung haben wir die Rückendeckung des BdS gesucht und erhalten und wir haben zu einem schärferen Schwert des BGB gegriffen, dem § 648. Schärfer als der § 313 BGB, dem sog. Wegfall der Geschäftsgrundlage, der letztes Jahr das Mittel der Wahl war und im Rahmen von friedlichen Vertragslösungsverhandlungen auch weiter sein kann. Produktionsabsagen sind Vertragskündigungen Man muss aber wissen, im Fall der endgültigen Absage jedenfalls und wenn die Produktion des Bühnenbildes und/oder Kostümbildes noch (rechtlich) möglich ist ─ und das war sie bislang immer, in jeden "Lockdown" ─ dann wird man die endgültige Absage der Produktion als Kündigung des Vertrages werten müssen. Und wenn das Theater für diese Kündigung keinen wichtigen Grund hat. Und das hat es ─ das mag überraschen jedenfalls im rechtlichen Sinne nicht, denn es trägt das sogenannte Verwendungsrisiko. Das Risiko nämlich, dass es mit dem Bühnen-/Kostümbild nichts anfangen kann oder nicht wie gedacht und trotzdem zahlen muss. Also nicht nur "pacta sunt servanda", Verträge sind einzuhalten, sondern auch: "Geld hat man zu haben" ist ein wesentlicher juristischer Grundsatz, wenn es um Vertrags- und Zahlungstreue geht. Dann also, dann hat das Theater die volle Gage zu zahlen und zwar unabhängig vom Stand der Arbeiten. Davon werden nur die sog. ersparten Aufwendungen abgezogen. Das ist solche Aufwendungen, die Ihr nicht machen musstet, weil die Arbeit nicht weiter fortgeführt wurde. Etwa Reisekosten, die nicht durch das Theater erstattet worden wären oder auch Materialkosten. Das also ist die Ausgangslage, von der aus natürlich weitere faire Vergleiche angestrebt werden sollen. Nicht aber Unmöglichkeit, Unzumutbarkeit, irgendwelche Corona-Klauseln oder was auch immer von den Bühnen fälschlicherweise ins Feld geführt werden mag. Diese Grundsätze sind nunmehr in diesem außergerichtlichen Vergleich implizit bestätigt worden. Ein Rechtsanwalt einer renommierten süddeutschen Kanzlei jedenfalls schloss sich unseren Argumenten weitgehend an und konnte (vermutlich) den Intendanten überzeugen, ein deutlich verbessertes Vergleichsangebot als zuvor zu unterbreiten. Was lernen wir daraus? Zum einen, in vielen Fällen wie diesen wird der Anspruch nicht nur auf eine faire Vertragsanpassung gehen, wie zuvor angenommen, sondern auf (fast) die volle Gage. Zum anderen, da, wo es sich anbietet, können wir energischer sein, ob mit Anwaltsschreiben oder (gerne) auch ohne. Dieser § 648 BGB kommt auch deshalb zunehmend ins Spiel, weil man Zweifel haben kann, ob man den Weg über den Wegfall der Geschäftsgrundlage / § 313 BGB noch auf Verträge anwenden kann, die ab dem März 2020 geschlossen wurden. Denn diese Rechtsfigur erfordert ein unvorhersehbares Ereignis und ob die weiteren Ereignisse, die uns beschäftigen seit dieser Zeit, unvorhersehbar waren, darüber mag man trefflich streiten. Natürlich kann es weiter als Argumentationsgrundlage dienen, um faire Vergleiche zu finden. Auch neu sind diverse Corona-Klauseln in den Verträgen, die zum größten Teil die Lage nicht verändern, meist sind sie schlicht unwirksam. Nicht ohne Grund hat der Bühnenverein seinen Mitgliedern keine speziellen Corona-Klauseln empfohlen. Schließlich nimmt niemand Geringeres als das Bundesverfassungsgericht jenseits der dargestellten und überaus berechtigten rechtlichen Ansprüche nach dem BGB (auch) die Bühnen in die Verantwortung, und zwar im sog. KSK-Urteil von 1987 und zwar u.a. mit diesen bedenkenswerten Worten: " ...b) aa) Die Belastung der Vermarkter mit der Künstlersozialabgabe zur Finanzierung eines Teils der Kosten der Sozialversicherung selbständiger Künstler und Publizisten findet ihre Rechtfertigung in dem besonderen kulturgeschichtlich gewachsenen Verhältnis zwischen selbständigen Künstlern und Publizisten auf der einen sowie den Vermarktern auf der anderen Seite. Dieses Verhältnis hat einen spezifischen Charakter, der über ein bloßes wechselseitiges Aufeinanderangewiesensein, wie es etwa zwischen Produzenten und Handel oder Erzeugern und Verbrauchern besteht, hinausgeht. Künstler und Publizisten erbringen unvertretbare, d. h. höchstpersönliche Leistungen, die in besonderer Weise der Vermarktung bedürfen, um ihr Publikum und also ihre Abnehmer zu finden. Dieses Verhältnis hat gewisse symbiotische Züge; es stellt einen kulturgeschichtlichen Sonderbereich dar, aus dem eine besondere Verantwortung der Vermarkter für die soziale Sicherung der - typischerweise wirtschaftlich Schwächeren - selbständigen Künstler und Publizisten erwächst, ähnlich der der Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer. Es würde die Eigenart künstlerischen und publizistischen Schaffens verkennen und wäre daher sachwidrig, eine soziale Schutzbedürftigkeit der Künstler und Publizisten und eine soziale Verantwortung der Vermarkter ungeachtet dessen nur darum zu verneinen, weil rechtsförmlich kein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis vorliegt. Denn dieses ist, wie dargelegt, zwar der hauptsächliche und weithin typische, aber nicht der ausschließliche Fall einer sozialen Verantwortlichkeit, die die Heranziehung zu fremdnützigen Sozialversicherungsbeiträgen rechtfertigt. Das Recht findet die Eigenart der Existenzform als Künstler oder Publizist vor, die mit dem Sachgehalt dieser Tätigkeit in Zusammenhang steht. Es ist dann sachgerecht, bestehender sozialer Schutzbedürftigkeit in einer Weise Form und Gestalt zu geben, die dieser Eigenart Rechnung trägt, anstatt vorab zur Bedingung zu machen, daß diese Existenzform sich auflöst und in ein förmliches Arbeitnehmerverhältnis übergeht. ..." (NJW 1987, 3115, 3118) Anspruch auf volle Gagenauszahlung Nochmal: Ihr habt bei einer Produktionsabsage auch in diesen Zeiten grundsätzlich einen Anspruch auf die volle Auszahlung der Gage nur unter Abzug der sog. ersparten Aufwendungen. Die Theater dürfen das nicht nur, sie müssen das auch, das sagt schließlich das BGB. Und wenn man mit dem BGB nicht weiterkommt, dann mag man keine geringere Instanz als das Bundesverfassungsgericht zitieren, das in diesem speziellen Verhältnis, in dem Ihr und die Theater Euch befindet, eine Verpflichtung zu sozialer Verantwortung der Produzenten für Euch eindringlich und lebensnah feststellt. Zur Person Rechtsanwalt Oliver Kummer berät schwerpunktmäßig und umfassend Bühnenschaffende, Film- und Fernsehschaffende und Bildende Künstler sowie Unternehmen und Institutionen, die auf diesen Gebieten tätig sind. Neben der Vertragsgestaltung übernimmt er die Verhandlungsführung und das Vertragsmanagement für nationale wie internationale Produktionen. RA Kummer ist außerdem Kooperationspartner vom Bund der Szenografen, für dessen Mitglieder er kostenfreie Erstberatung bei Fragen zum Arbeits- und Vertragsrecht anbietet.